Dr. Joachim Selle
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Die Bundesärztekammer legt hiermit gemäß § 5 Abs. 11  Betäubungsmittel-Verschreibungs­verordnung (BtMVV) auf Grundlage des allgemein anerkannten Standes der Wissenschaft Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger vor.

Drogenabhängigkeit ist eine behandlungsbedürftige chronische Krankheit.
Oberstes Ziel der Behandlung ist die Suchtmittelfreiheit.
Die möglichen Stufen eines umfassenden Therapiekonzeptes sind:

  • Sicherung des Überlebens
  • gesundheitliche und soziale Stabilisierung
  • berufliche Rehabilitation und soziale Reintegration
  • Opiatfreiheit.

Das Erreichen dieser Ziele hängt wesentlich von der individuellen Situation des Opiatabhängigen ab. Die Behandlung verläuft individuell, in zeitlich unterschiedlich langen Phasen. Die substitutionsgestützte Behandlung wird dann eingesetzt, wenn sie im Vergleich zu anderen Therapiemöglichkeiten die größeren Chancen zur Besserung oder Heilung der Suchterkrankung bietet, auch wenn sie nicht unmittelbar und zeitnah zur Opiatfreiheit führt. Eine qualifizierte substitutionsgestützte Behandlung ist darüber hinaus eine präventive Maßnahme hinsichtlich der Verbreitung von Infektionskrankheiten, insbesondere durch HIV- und Hepatitis-Erreger.

1. Aufgabe und Geltungsbereich der Richtlinien

Diese Richtlinien stellen den gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft für die Indikationsstellung, die Durchführung und den Abschluss der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger für die in der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger tätigen Ärzte dar.

Die Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) und des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind in jedem Falle zu beachten.
Die Richtlinien gelten unter Beachtung des ärztlichen Berufsrechtes für alle Ärzte, die substitutionsgestützte Behandlungen Opiatabhängiger durchführen.
Soweit die substitutionsgestützte Behandlung als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherungen gewährt wird, sind darüber hinaus die Vorschriften des SGB V zu beachten.

Beratungskommission

Bei den zuständigen Landesärztekammern kann unter Beteiligung der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen eine Beratungskommission eingerichtet werden, der mindestens zwei in der Suchtbehandlung erfahrene Ärzte sowie mindestens ein Vertreter des Drogenhilfesystems angehören. Diese Kommission kann zu allen Aspekten und Problemen der qualifizierten substitutionsgestützten Behandlung (z. B. Indikationsstellung, notwendige Begleitmaßnahmen, Beigebrauchsprobleme, Indikation zum Abbruch) von substituierenden Ärzten, Patienten, Kostenträgern u. a. mit der Bitte um Beratung angerufen werden.

2. Indikation

Nach gegenwärtigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse kann eine substitutionsgestützte Behandlung bei manifester Opiatabhängigkeit durchgeführt werden.
Eine manifeste Opiatabhängigkeit liegt nach internationaler Übereinkunft  dann vor, wenn drei oder mehr der folgenden Kriterien über einen längeren Zeitraum gleichzeitig vorhanden sind:

  • starker bis übermäßiger Wunsch, Opiate zu konsumieren;
  • verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums;
  • Nachweis einer Toleranzentwicklung;
  • ein körperliches Entzugssyndrom;
  • fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zu Gunsten des Substanzkonsums; erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen;
  • anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen.

Bei Vorliegen einer manifesten Opiatabhängigkeit ist eine substitutionsgestützte Behandlung dann indiziert,

  • wenn die Abhängigkeit seit längerer Zeit besteht und
  • wenn Abstinenzversuche unter ärztlicher Kontrolle keinen Erfolg erbracht haben und/oder
  • wenn eine drogenfreie Therapie derzeit nicht durchgeführt werden kann und/oder
  • wenn die substitutionsgestützte Behandlung im Vergleich mit anderen Therapiemöglichkeiten die größte Chance zur Heilung oder Besserung bietet.

Soweit die vorstehenden Voraussetzungen nicht vorliegen, ist eine substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger ausgeschlossen.

Bei einer erst kürzer als 2 Jahre bestehenden Opiatabhängigkeit ist die substitutionsgestützte Behandlung in der Regel nur als Übergangsmaßnahme anzusehen.
Es dürfen der Substitution keine medizinisch allgemein anerkannten Ausschlussgründe entgegenstehen, wie z. B. eine primäre/hauptsächliche Abhängigkeit von anderen psychotropen Substanzen (Alkohol, Kokain, Benzodiazepine etc.).
Ein die Substitution gefährdender Beigebrauch weiterer Stoffe muss vor Beginn der Substitution berücksichtigt und behandelt werden.
Die Begründung der Indikation, der Ausschluss einer mehrfachen Substitution sowie die Belehrung über das Verbot des Beigebrauches sind zu dokumentieren.

3. Umfassendes Therapiekonzept

Die substitutionsgestützte Behandlung ist nur zulässig im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzeptes, das die jeweils erforderlichen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen sowie psycho-sozialen Betreuungsmaßnahmen begleitend einbezieht.
Es ist abzuklären, ob eine Indikation für eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung besteht.
Eine klassische Psychotherapie ersetzt in der Regel aber nicht die psycho-soziale Betreuung, wie sie durch das Suchthilfesystem erbracht werden kann. Gegenstand der psycho-sozialen Betreuung ist die mögliche Veränderung der Lebensumstände der Patienten. Die psycho-soziale Betreuung soll dem Patienten durch geeignete Unterstützungsmaßnahmen in psychischen, sozialen und lebenspraktischen Bereichen helfen, die psychischen und sozialen Folgen der Abhängigkeit von illegalen Substanzen zu erkennen und zu überwinden. Ihr Umfang richtet sich dabei nach den individuellen Umständen und dem Krankheitsverlauf des Patienten. Ihre unterstützende Wirkung auf die Behandlung ist fachlich unbestritten und ihr indikationsbezogener Einsatz daher unabdingbar.
Der substituierende Arzt muss zu Beginn und im weiteren Verlauf darauf hinwirken, dass die erforderlichen begleitenden Maßnahmen in Anspruch genommen werden.
Der Patient muss zur Mitwirkung an der Behandlung bereit sein. Die Verabreichung des Substitutes ist nur ein Teil der Behandlung. Es müssen regelmäßig Gespräche mit dem Patienten und medizinische Untersuchungen zur Kontrolle des Gesundheitszustandes stattfinden. Die Frequenz hat sich am Einzelfall zu orientieren. Wöchentlich ist mindestens ein Arzt-/Patienten-Kontakt erforderlich.
Psycho-soziale Betreuung und ärztliche Behandlung müssen koordiniert werden.
Die Therapieziele und das umfassende Behandlungskonzept unter Einbeziehung der psycho-sozialen Betreuungsmaßnahmen sind zu formulieren und zu dokumentieren.

Im Zweifelsfall sollte ein Beratungsvotum bei der zuständigen Beratungskommission eingeholt werden.

Die Anzahl der substituierten Patienten sollte sich nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten der Praxis richten, um eine qualifizierte Behandlung zu gewährleisten.
Unberührt von der Verpflichtung bei jedem Patienten im Rahmen des umfassenden Behandlungskonzeptes auf die Wahrnehmung der notwendigen psycho-sozialen Betreuungsmaßnahmen hinzuwirken, müssen Praxen oder spezielle Einrichtungen, die mehr als 50 Opiatabhängige substituieren, im Rahmen einer organisatorischen und fachlichen Einheit die psycho-sozialen Betreuungsmaßnahmen integrieren.

4. Vereinbarungen mit dem Patienten

Der Patient ist über die Modalitäten der geplanten Behandlung ausführlich aufzuklären:

  • Wahl des Substitutionsmittels und mögliche Nebenwirkungen
  • Vergabe-Modus
  • Notwendigkeit des Verzichts auf Beikonsum anderer Stoffe, die den Zweck der Substitution gefährden oder die medizinisch gefährlich sind
  • Urin- und Alkoholkontrollen
  • Information über Abbruchkriterien
  • Erforderliche psycho-soziale Begleitmaßnahmen
  • Aufklärung über eventuelle Fahruntüchtigkeit
  • Schweigepflichtentbindung gegenüber anderen beteiligten Institutionen (z. B. Ärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung, psycho-soziale Betreuungsstelle)
  • Information über zentrale Meldeverpflichtung in anonymisierter Form zur Verhinderung von Doppelvergaben.

Es ist das ausdrückliche Einverständnis des Patienten zu den geplanten Therapiemaßnahmen einzuholen.

5. Einleitung der substitutionsgestützten Behandlung

Folgendes ist zu beachten und zu dokumentieren:

  • gründliche Erhebung der Vorgeschichte des Patienten
  • eingehende Untersuchung des Patienten
  • Indikation und Formulierung des Behandlungskonzeptes
  • Durchführung eines Drogenscreenings zur Feststellung des Opiatgebrauchs und des Gebrauchs weiterer Substanzen
  • Abklärung einer evtl. Mehrfachsubstitution
  • Organisation der täglichen Vergabe auch an Wochenenden
  • das Einholen einer Schweigepflichtsentbindungserklärung gegenüber den beteiligten Institutionen ist angeraten
  • ausführliche Aufklärung des Patienten über das Substitutionsmittel und dessen Wirkungen, die Wechselwirkungen mit anderen Substanzen, insbesondere Alkohol und psychoaktiven Substanzen wie Benzodiazepinen, Antidepressiva, Antiepileptika und Neuroleptika sowie eine eventuelle Fahruntüchtigkeit.

Gemäß BtMVV ist das Verschreiben eines Substitutionsmittels nicht zulässig, wenn dem Arzt Erkenntnisse vorliegen, dass der Patient von einem anderen Arzt ein Substitutionsmittel erhält. In der Regel ist eine Mehrfachsubstitution nur über das Substitutionsregister beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufzudecken. Jeder Arzt, der ein Substitutionsmittel für einen Patienten verschreibt, hat gemäß BtMVV § 5 a (2) dem BfArM ab dem 1. Juli 2002 unverzüglich schriftlich oder kryptiert auf elektronischem Wege die notwendigen Angaben zu den substituierten Patienten zu melden. Das BfArM stellt hierzu entsprechende Formulare zur Verfügung.

6. Wahl des Substitutionsmittels

Es können die Substitutionsmittel eingesetzt werden, die in der BtMVV zugelassen sind.

Es sind die Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes und gegebenenfalls der Arzneimittelrichtlinien des Bundesausschusses zu beachten.

Der Arzt ist verpflichtet, sich fortlaufend und umfassend über Wirkungen und Nebenwirkungen sowie Interaktionen der von ihm eingesetzten Substitutionsmittel zu informieren.
Die Einstellung auf die erforderliche Dosis des jeweiligen Substitutes muss mit besonderer Sorgfalt geleistet werden. In besonders schwierigen Einzelfällen kann die Dosisfindung stationär erfolgen.

7. Zusammenarbeit mit der Apotheke

Um einen reibungslosen Ablauf der substitutionsgestützten Behandlung zu garantieren, sollen rechtzeitig mit den Apothekern die Lieferungs- und Vergabemodalitäten besprochen werden.

8. Verabreichung unter kontrollierten Bedingungen

Bezüglich der Abgabe des Substitutionsmittels gelten die Bestimmungen der BtMVV. Die Applikation darf nur oral in Tagesdosen erfolgen. Sie soll durch den Arzt, dessen Vertreter oder – wo rechtlich zulässig – durch den Apotheker oder von dem Arzt beauftragtes, entsprechend qualifiziertes medizinisches Fachpersonal persönlich durchgeführt werden.

Für langfristige Vertretungen (Urlaub, Krankheit) soll ein anderer Arzt mit der erforderlichen Mindestqualifikation gemäß BtMVV § 5 (2) 6. mit der Verabfolgung beauftragt werden. Der Arzt oder die verabreichende Person muss sich von der ordnungsgemäßen Einnahme überzeugen, d. h. die Trinklösung oder das Fertigarzneimittel muss vom Patienten in jedem Falle vor den Augen der verantwortlichen Person eingenommen werden.

9. "Take-home-Verordnung"

Gemäß § 5 (8) BtMVV kann eine Verschreibung für die bis zu 7 Tagen benötigte Menge des Substitutionsmittels ausgehändigt werden und dessen eigenverantwortliche Einnahme erlaubt werden ("Take-home-Verordnung"), sobald und solange dies der Verlauf der Behandlung zulässt und dadurch die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden.
Sofern dem Patienten seit mindestens 6 Monaten ein Substitutionsmittel verschrieben und zum unmittelbaren Verbrauch überlassen wurde und seit mindestens 3 Monaten nach sorgfältiger Prüfung kein Anhalt dafür besteht, dass der Patient Stoffe gebraucht, deren Konsum nach Art oder Menge die eigenverantwortliche Einnahme des Substitutionsmittels nicht erlaubt und der klinische Eindruck des Patienten stabil ist, ist eine "Take-home-Verordnung" zulässig. Dies
In Ausnahmefällen darf mit besonderer Begründung von den genannten Zeiten abgewichen werden. bedarf der besonderen Dokumentation.
Wegen des hohen Missbrauchrisikos von "Take-home-Verordnungen" obliegt dem behandelnden Arzt eine besondere Verantwortung. Die "Take-home-Verordnung" muss auf Substituierte beschränkt bleiben, bei denen die psycho-soziale Reintegration entsprechend fortgeschritten ist und bei denen für eine Selbst- oder Fremdgefährdung durch Beigebrauch oder nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Substitutionsmittels keine Hinweise bestehen.
In der Regel sollte eine "Take-home-Verordnung" zunächst nur für kurze Zeiträume erfolgen, sie kann ggf. schrittweise erhöht werden. Die Ausschöpfung des vollen durch die BtMVV gesetzten Rahmens der "Take-home-Verordnung" ist nur zu vertreten, wenn eine eindeutige berufliche, familiäre, soziale oder medizinische Notwendigkeit besteht.
Die Entscheidung zur "Take-home-Verordnung" soll in Absprache mit der psycho-sozialen Betreuungsstelle erfolgen.
Die Gründe für die "Take-home-Verordnung" und der Verlauf der Behandlung, der eine "Take-home-Verordnung" zulässt und notwendig macht, sind zu dokumentieren.
Die gemäß § 5 (8) BtMVV in begründeten Ausnahmefällen (zur Sicherstellung der Versorgung bei Auslandsaufenthalten) maximal mögliche Verschreibung des Substitutionsmittels (maximal 30 Tage im Jahr) muss auf Einzelfälle beschränkt werden, in denen die Notwendigkeit nachweisbar gegeben ist. Diese Verschreibung ist umgehend der zuständigen Landesbehörde anzuzeigen.

Die Behandlung einer chronischen Erkrankung setzt regelmäßige Kontakte zwischen dem Arzt und dem Patienten voraus. Im Rahmen der "Take-home-Verordnung" soll der Arzt mindestens einmal pro Woche ein persönliches Gespräch mit dem Patienten führen und bei Bedarf eine klinische Untersuchung sowie eine Urinkontrolle durchführen, um ggf. auf Veränderungen der Situation bzw. des Verhaltens des Patienten reagieren zu können, z. B. durch Beschränkung der "Take-home-Verordnung". In diesem Zusammenhang soll dann auch die kontrollierte Einnahme des Substitutionsmittels für diesen Tag stattfinden.
Insbesondere im Hinblick auf eine "Take-home-Verordnung" muss der behandelnde Arzt den Patienten umfassend aufklären über:

  • die Gefahren für andere Personen, besonders die Gefahr für Kinder,
  • die (kinder-)sichere Lagerung des Substitutionsmittels.

Die Patienten haben grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf eine "Take-home-Verordnung". Voraussetzung für die "Take-home-Verordnung" ist in jedem Fall die zuverlässige Mitwirkung des Patienten. Ob und in welchem zeitlichen Umfang diese Vergabemöglichkeit eingesetzt wird, unterliegt ausschließlich der Entscheidung und Verantwortung des behandelnden Arztes. Jede "Take-home-Verordnung" ist dem Patienten im Rahmen einer persönlichen ärztlichen Konsultation auszuhändigen.

10. Behandlungsausweis

Der behandelnde Arzt stellt dem Patienten einen Behandlungsausweis aus, in dem das entsprechende Substitutionsmittel und die aktuelle Tagesdosis in Milligramm (mg) aufgeführt ist. Die letzte Eintragung darf nicht älter als drei Monate sein.

11. Therapiekontrolle / Beikonsum

Beigebrauchskontrollen sind gemäß BtMVV vorgeschrieben. Zu Beginn der substitutionsgestützten Behandlung sind engmaschige Kontrollen des Beigebrauchs erforderlich. Wenn eine Stabilisierung des Behandlungsverlaufs erfolgt ist, können größere Kontrollintervalle gewählt werden, die in schwierigen Behandlungssituationen wieder zu verkürzen sind. Es müssen unangemeldete, stichprobenartige Kontrollen auf Beigebrauch anderer Suchtmittel sowie auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Substitutionsmittels durchgeführt werden. Hierbei sind – je nach Lage des Einzelfalles – der Beigebrauch anderer Opiate, aber auch von Benzodiazepinen, Kokain, Amphetaminen und Alkohol zu prüfen.
Bei "Take-home-Vergabe" ist die regelmäßige Beigebrauchskontrolle zwingend erforderlich.

Die Vergabe des Substitutionsmittels hat zu unterbleiben, wenn ein aktueller Beikonsum festgestellt wird, der den Patienten bei zusätzlicher Verabreichung des Substituts gesundheitlich gefährden würde. Insbesondere ist darauf zu achten, dass eine Einnahme des Substituts in Kombination mit Alkohol und/oder Sedativa zu Atemdepressionen mit tödlichem Ausgang führen kann. Außerdem hat die Vergabe bei nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch des Substitutionsmittels zu unterbleiben.
Der behandelnde Arzt ist zu einer sorgfältigen Dokumentation des Beigebrauchs sowie der daraus folgenden Überlegungen und Konsequenzen verpflichtet.
Es gibt vielfältige Gründe für den Beikonsum, die abgeklärt werden müssen. Bei nachgewiesenem Beikonsum sollte zunächst die Ursache eruiert und nach Möglichkeiten der Beseitigung gesucht werden. Hierbei ist die Zusammenarbeit mit der psycho-sozialen Betreuungsstelle angeraten. Kommt es immer wieder zu problematischem Beikonsum ist ein fraktionierter Beigebrauchsentzug (ggf. unter klinischen Bedingungen) einzuleiten.
Bei Beigebrauch liegt es in der Entscheidung des Arztes, ob er die Behandlung weiterführt.

12. Abbruch der substitutionsgestützten Behandlung

Eine substitutionsgestützte Behandlung soll erst dann abgebrochen werden, wenn vorherige Interventionsstrategien des Arztes und der psycho-sozialen Betreuungsstelle zu keinem positiven Ergebnis geführt haben.

Als Abbruchkriterien gelten:

  • fortgesetzter, problematischer, die Therapieziele gefährdender Beikonsum
  • Verweigerung der Kontrollen
  • unzureichende Kooperationsbereitschaft des Patienten
  • Weitergabe und/oder Handel mit Suchtstoffen.

Bei einem Abbruch der Behandlung muss der Patient über die körperlichen, psychischen und sozialen Konsequenzen aufgeklärt werden und ihm in jedem Fall die Möglichkeit zu einem geordneten Entzug vom Substitutionsmittel gegeben werden. Gegebenenfalls sollte die Überweisung an einen weiterbehandelnden Arzt oder in eine stationäre Entzugsbehandlung erfolgen.

13. Arztwechsel

Vor einer geplanten Übernahme eines bereits in substitutionsgestützter Behandlung befindlichen Patienten muss sich der weiterbehandelnde Arzt mit dem vorbehandelnden Kollegen in Verbindung setzen. Eine Schweigepflichtsentbindung ist einzuholen.

14. Dokumentationspflicht

Die Dokumentationspflicht ergibt sich aus dem bestehenden Berufsrecht, der BtMVV sowie besonderen Anforderungen an die substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger. Es sind zu dokumentieren:

  • die Anamnese und die Untersuchungsergebnisse
  • die Indikation, die Diagnose, die Therapieziele
  • die Formulierung von und das Hinwirken auf notwendige Begleitmaßnahmen wie die psycho-soziale Begleitung
  • die Meldung des Patienten in anonymisierter Form an das zentrale Substitutionsregister
  • Häufigkeit und Ergebnisse des Drogenscreenings und der Beigebrauchskontrollen
  • jeweils personengebundene Entbindung der Schweigepflicht durch den Patienten
  • der Vermerk über die erfolgte Aufklärung des Patienten über Gefahren und Nebenwirkungen zusätzlich gebrauchter psychotroper Substanzen
  • die Aufklärung über eine mögliche Fahruntauglichkeit und über eine mögliche Einschränkung beim Bedienen von Maschinen und schwerem Gerät
  • Art, Dosis und Vergabemodalitäten des Substitutionsmittels
  • im Fall der "Take-home-Verordnung": Begründung für die "Take-home-Verordnung" und der Stand der erreichten Behandlung, der eine "Take-home-Verordnung" zulässt, sowie Dokumentation des Aufklärungsgesprächs mit dem Patienten
  • ggf. Gründe für eine vorzeitige "Take-home-Regelung"
  • die Ausstellung des Behandlungsausweises
  • im Fall des Abbruchs der Behandlung die Begründung (möglichst in Zusammenarbeit mit der für die psycho-soziale Betreuung zuständigen Stelle) und Dokumentation des Aufklärungsgesprächs – sofern dies möglich ist – mit dem Patienten
  • Gesundheitszustand des Patienten bei Beendigung der Behandlung sowie ggf. eingeleitete weitere Maßnahmen.

Alle Befunde und Maßnahmen im Rahmen der substitutionsgestützten Behandlung sind zu dokumentieren und zum Zweck der Auswertung der Qualitätssicherungsmaßnahmen auf Verlangen der zuständigen Landesärztekammer und/oder der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung in anonymisierter Form zur Verfügung zu stellen.

15. Qualitätssicherung

Der Arzt soll ein kontinuierliches Qualitätsmanagement durchführen, welches ihn in die Lage versetzt, fortwährend die Qualität der substitutionsgestützten Behandlung selbstständig zu verbessern.
Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung umfassen insbesondere

  • die Sicherung der Diagnose "manifeste Opiatabhängigkeit" und der Substitutionsindikation;
  • die Erstellung eines individuellen Therapieplanes für jeden Substituierten mit zeitlicher und qualitativer Festlegung der Therapieziele, der Verlaufs- und Ergebniskontrollen, sowie der Festlegung der psycho-sozialen Begleitbetreuung;
  • die Festlegung von Beigebrauchskontrollen;
  • die Festlegung von Abbruchkriterien.

Zur internen Qualitätssicherung empfiehlt sich die Nutzung eines Qualitätsmanagement-Handbuches, in dem Qualitätsziele, Qualitätsindikatoren und Vorgehensweisen zur Erreichung der Qualitätsziele konkretisiert werden (interne Qualitätssicherung z. B. durch das ASTO-Handbuch). Darüber hinaus wird die Teilnahme an einem Qualitätszirkel oder einer Supervision empfohlen.
Für die externe Qualitätssicherung können die Landesärztekammern und die Kassenärztlichen Vereinigungen besondere Regelungen treffen.

16. Qualifikation des behandelnden Arztes

Die Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger darf nur von solchen Ärzten übernommen werden, die die Mindestanforderungen an eine suchttherapeutische Qualifikation erfüllen, die von den Ärztekammern nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Wissenschaft festgelegt wurde (vgl. Fachkunde "Suchtmedizinische Grundversorgung" Beschluss der Bundesärztekammer vom 11. September 1998).
Darüber hinaus wird die kontinuierliche Teilnahme an zertifizierten Fortbildungsveranstaltungen empfohlen.


[1] Quelle:

  1. American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4th ed.
    (DSM-IV), Washington DC 1994
  2. Weltgesundheitsorganisation: Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10 Kapitel V), Genf 1992




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