Arbeit unter Einwirkung von Blei
Vorbemerkung:
Diese Leitlinie wird empfohlen, wenn ärztliches Handeln im Zusammenhang mit der Einwirkung von Blei oder seinen Verbindungen in diagnostischer, therapeutischer oder präventiver Hinsicht erforderlich ist.
Beachten Sie bitte auch die für das arbeitsmedizinische Leitlinienprinzip geltenden Besonderheiten sowie die sonstigen fachgebietsrelevanten Handlungsempfehlungen.
Arbeitsbedingte Blei-Intoxikation
Infolge der akuten oder chronischen Aufnahme (vor allem inhalativ und oral, bei organischen Verbindungen auch dermal) von Blei und Bleiverbindungen verursachtes typisches Krankheitsbild.
Leitsymptome
Magen-Darm-Kolik, Obstipation, allgemeine Abgeschlagenheit, Anämie (meistens hypo- bzw. normochrom), selten Bleisaum am Zahnfleisch (abhängig von der Mundhygiene), in schweren Fällen auch sensomotorische Polyneuropathie (Radialisparese bzw. Fallhand), Nierenschaden und Enzephalopathie (insbesondere bei organischen Bleiverbindungen) [1].
Stärkere neurotoxische Effekte nach chronischer Bleibelastung betreffen vor allem Lernen und Gedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit sowie Psychomotorik [2]. Diese Veränderungen sind im Einzelfall schwierig nachzuweisen und können in der Regel nur im Zusammenhang mit der objektivierten Bleibelastung zutreffend interpretiert werden. Gleiches trifft auch für die bei Kindern auf statistischer Basis nachgewiesenen Korrelation zwischen Blutbleikonzentrationen und Intelligenzleistungen zu [3].
Wegen neuerer Befunde zur Genotoxizität sind bestimmte Bleiverbindungen, z.B. Bleioxid, von der Arbeitsstoffkommission als potentiell humankanzerogen bewertet worden [4].
Diagnostik
Notwendige Diagnostik:
Vollständige körperliche Untersuchung, Blutbild einschließlich Differentialblutbild, Biomonitoring: Blei im Vollblut; bei Bleitetraethyl und Bleitetramethyl: Blei im Urin.
Im Einzelfall nützlich:
Neurologische Untersuchung einschließlich Neurophysiologie/Elektromyographie.Nierenparameter: Kreatinin im Serum, Harnproteine (z.B. Gesamteiweiß, Albumin, b2- und a1-Mikroglobulin), Blei und d-ALA-Ausscheidung im Harn (24-Stunden-Sammelurin).
Entbehrliche Diagnostik:
Bestimmung von Blei in Haaren, Knochen oder anderen biologischen Materialien. Mobilisationstests mit Komplexbildnern. Auszählung der basophil getüpfelten Erythrozyten.
Differentialdiagnostik
Entsprechend der Symptomatik wird auf die Leitlinien der Fachdisziplinen (Innere Medizin, Nephrologie, Neurologie) verwiesen.
Therapie
< | Expositionskarenz |
< | Forcierte Blei-Ausscheidung durch Anwendung von [5] |
- DMPS: oral 3 x 100 mg/die (Dimavalâ,Mercuval®) - D-Penicillamin: oral: 3 x 100 mg/die (Metalcaptase®) | |
< | cave: Nierenfunktionsstörung |
< | Kontraindiziert: BAL (i.v. oder i.m.) |
< | Obsolet: Gabe von Milch oder Penicillamin zur Prävention. |
Berufliche Gefährdungsschwerpunkte
Verhütten von Bleierzen, Einschmelzen von bleihaltigen Altmaterialien, Kontakt zu bleihaltigen Stäuben, z.B. Filterstäube, Raffinieren von Blei, Herstellen und Verarbeiten von Bleipulver, Bleipigmenten sowie Bleiglasuren, Auftragen von bleihaltigen Anstrichstoffen im Spritzverfahren, Verwendung von pulverförmigen Bleiverbindungen bei der Herstellung von Farben, Akkumulatoren und Kunststoffen, Entfernen bleihaltiger Beschichtungen mittels mechanischer Verfahren, Schweißen, Brennschneiden, Schmelzen und Löten von bleihaltigen Materialien.
Berufskrankheit
Die beruflich verursachte Blei-Intoxikation ist eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit gemäß Nr. 1101 (Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen) der Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Auf das offizielle Merkblatt zur Berufskrankheit BK 1101 wird verwiesen. Im Merkblatt finden sich Angaben zu beruflichen Gefahrenquellen, zum Krankheitsbild und zur Diagnostik sowie zur ärztlichen Beurteilung.
Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, den begründeten Verdacht auf Vorliegen einer Berufskrankheit BK 1101 dem Träger der Unfallversicherung oder der zuständigen Stelle des medizinischen Arbeitsschutzes (Staatlicher Gewerbearzt) unverzüglich anzuzeigen.
Nach den Unfallverhütungsberichten wurden im Zeitraum von 2000 bis 2002 pro Jahr zwischen 102 und 112 Verdachtsfälle angezeigt und zwischen 8 und 12 Erkrankungsfälle als Berufskrankheit BK 1101 anerkannt.
Prävention
Die vermehrte Aufnahme von Blei ist durch geeignete Arbeitsschutzmaßnahmen zu verhindern. Hierzu gehören in erster Linie expositionsmindernde Maßnahmen und nachrangig die Verwendung von persönlichen Körperschutzmitteln (z.B. Atemschutz). Erhöhte Blei-Belastungen in der Allgemeinbevölkerung sind durch kontaminierte Lebensmittel, unsachgemäße Verwendung von Blei-haltigen Produkten bzw. Blei-haltigen Gegenständen sowie durch Blei-haltiges Trinkwasser möglich.
Arbeitnehmer, die Umgang mit Blei und seinen Verbindungen haben, sind durch einen ermächtigten Arzt für Arbeitsmedizin/Betriebsarzt entsprechend dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 2 (Blei) bzw. G 3 (Bleialkyle) zu untersuchen [6].
Referenz- und Grenzwerte
Referenzwerte (sog. Hintergrundbelastung) für die Blutbleikonzentration in der Allgemeinbevölkerung ohne berufliche Bleibelastung sind [7]:
Männer (18 – 69 Jahre) 90 µg/L
Frauen (18 – 69 Jahre) 70 µg/L
Kinder (6 – 12 Jahre) 60 µg/L
Als Grenzwerte für die Blutbleikonzentration in der Allgemeinbevölkerung ohne berufliche Bleibelastung
(Human-Biomonitoring-Werte, Stand 2002) gelten [3]:
HBM I 100 (Risikogruppe) bzw. 150 µg/L
HBM II 150 (Risikogruppe) bzw. 250 µg/L
Aufgrund der Neubewertung des krebserzeugenden Potentials wurden der MAK- und BAT-Wert 2004 ausgesetzt.
Zur Orientierung sind nachfolgend die bis 2003 gültigen BAT-Werte genannt. Diese schützen definitionsgemäß nach jeweils aktuellem Kenntnisstand vor adversen toxischen Effekten, nicht jedoch vor genotoxischen Wirkungen:
Effekten, nicht jedoch vor genotoxischen Wirkungen:
Männer | Frauen < 45 Jahre | > 45 Jahre | |
Blutbleikonzentration: | 400 µg/L | 100 µg/L | 400 µg/L |
Daneben ist Blei in Schwangerschaftsgruppe B eingestuft, d.h. auch unterhalb des (früheren) BAT-Wertes besteht die Möglichkeit der Embryotoxizität und Teratogenität. Zur Risikominimierung galt für Frauen bis zum 45. Lebensjahr ein „ spezieller BAT-Wert“, der sich an der Hintergrundbelastung der Allgemeinbevölkerung orientiert hat.
Bei Exposition gegenüber Bleitetraethyl und Bleitetramethyl bestand ein BAT-Wert in Höhe von 50 µg Gesamtblei pro Liter Urin.
Literatur
[1] Schiele, R.:
BK 1101: Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen. In: G. Triebig, M. Kentner,
R. Schiele (Hrsg.): Arbeitsmedizin. Handbuch für Theorie und Praxis. Gentner Verlag,
Stuttgart, 2003.
[2] Greim, H., G. Lehnert (Hrsg.):
Biologische Arbeitsstoff-Toleranz-Werte (BAT-Werte) und Expositionsäquivalente für
krebserzeugende Arbeitsstoffe (EKA). Arbeitsmedizinisch-toxikologische Begründungen.
10. Lieferung, Wiley-VCH-Verlag, Weinheim, 2001.
[3] HBM-Kommission:
Addendum zur „Stoffmonographie Blei – Referenz- und Human-Biomonitoring-Werte“ der
Kommission „Human-Biomonitoring“.
Bundesgesundheitsbl. Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 45 (2002) 752-753.
[4] Greim, H. (Hrsg.): Blei und seine Verbindungen. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten (Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen), 38. Lieferung.
Wiley-VCH-Verlag, 2004.
[5] Felgenhauer, N., T. Zilker:
Einsatz von Chelatbildnern in der Klinischen Toxikologie und Umweltmedizin.
Umweltmed. Forsch. Prax. 5 (2000) 5-10.
[6] Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften: Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, 3. Auflage, Gentner Verlag, Stuttgart, 2004.
[7] HBM-Kommission: Aktualisierung der Referenzwerte für Blei, Cadmium und Quecksilber im Blut und
im Urin von Erwachsenen. Bundesgesundheitsbl. – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 46 (2003) 1112-1113.
[8] DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft): MAK- und BAT-Werte-Liste. Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und biologische Arbeitsstofftoleranzwerte; Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe. Mitteilung 40.
Verlag Chemie, Weinheim 2004.
S. dazu auch
Merkblatt zu BK 1101