Dr. Joachim Selle
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Melden Sie Nadelstichverletzungen umgehendI hrem für Arbeitsunfälle zuständigen D-Arzt.

Definition Nadelstichverletzung (NSV)
Jeglicher Stich-, Schnitt- und Kratzverletzungen der Haut durch Nadeln, Messer etc., die mit Patientenmaterial verunreinigt waren, unabhängig davon, ob die Wunde geblutet hat oder nicht.
Wo liegen die Gefahren?
Neben Tröpfchen- und Schmierinfektionen spielen insbesondere Blutkontakte sowie Kontakte mit anderen Körperflüssigkeiten eine Rolle. Hierbei gelangt das Blut des infektiösen Patienten
  • durch Nadelstich,
  • aufgrund einer Stichverletzung an einem scharfen/ spitzen Instrument, oder
  • durch Kontakt mit Auge, Haut sowie Nasen-, Mund-und anderen Schleimhäuten
in den Organismus des Beschäftigten.

Wichtigste Erreger in dieser Sparte der beruflichen Gefährdungen sind
  • das Hepatitis B-Virus (HBV)
  • das Hepatitis C-Virus (HCV) und
  • das Humane Immunodefizienz Virus (HIV)



  • Wer ist gefährdet?
    Weit über 2 Million Beschäftigte im Gesundheitswesen sind generell aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit infektionsgefährdet. Hierzu zählen insbesondere folgende Berufsgruppen:
    • Ärztliches Personal
    • Pflegepersonal
    • Beschäftigte im Rettungsdienst
    • Laborpersonal
    • Funktionspersonal wie z.B. MTA/ BTA/ PTA
    • Reinigungspersonal (auch von Fremd- Dienstleistern)
    • Hilfspersonal (z.B. Zivildienstleistende, Pflegehilfen)
    Seit Inkrafttreten der Biostoffverordnung im Jahre 1999 müssen auf der Basis des Arbeitsschutzgesetzes Gefährdungsbeurteilungen vorgenommen werden. Darüber hinaus muss ein System entwickelt werden, mit dessen Hilfe Unfälle an den Betriebsarzt (oder an die dafür verantwortliche Stelle) gemeldet werden können, damit
    • eine Risikoanalyse durchgeführt werden kann,
    • Präventionsstrategien (z.B. Schutzimpfungen) entwickelt, und
    • Sofortmaßnahmen für die postexpositionelle Prophylaxe ergriffen werden können.

    Ist eine Infektion nicht sehr unwahrscheinlich?
    Das Risiko einer solchen tätigkeitsbedingten Infektion durch blutübertragene Erreger hängt davon ab, wie viele infektiöse Patienten in der entsprechenden Einrichtung vorhanden sind, mit welchen Erregern die Patienten infiziert sind, und wie häufig die Blutkontakte aufgrund der Arbeitsbedingungen sein können. Natürlich hängt das Infektionsrisiko auch von der Art der Verletzung ab - allerdings ist hier größte Vorsicht geboten, denn selbst kleinste, oft als Bagatelle eingestufte Verletzungen können bereits zu einer schwerwiegenden Infektion bis hin zur Berufskrankheit führen!

    Das Risiko einer Infektion nach einer Nadelstichverletzung setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: Zum einen muss der Quellpatient infektiös sein (Prävalenz), zum anderen ist eine Infektion von der Übertragungswahrscheinlichkeit abhängig (Serokonversionsrate).

    Der Anteil der infektiösen Personen (Prävalenz) in Deutschland liegt bei ca.:
    • 1,3 % Hepatitis B (1.000.000 Personen)
    • 0,5 % Hepatitis C (400.000 Personen)
    • 0,05 % HIV/AIDS (40.000 Personen)
    Zu einer Übertragung (Serokonversion) nach einer Nadelstichverletzung kommt es
    • bei HBV in 300 von 1000 Fällen
    • bei HCV in 30 von 1000 Fällen
    • bei HIV in 3 von 1.000 Fällen
    Damit beträgt das rechnerische Infektionsrisiko für die jeweiligen Erreger ca.:
    • 1 : 250 für Hepatitis B
    • 1 : 6500 für Hepatitis C
    • 1 : 650000 für HIV/AIDS
    Dieses Risiko erhöht sich drastisch, je schwerer die Verletzung (Tiefe des Einstichs) ist. Zum Vergleich:
    • Wahrscheinlichkeit eines 3ers beim Lotto: 1 : 61
    • 1 : 6500 für Hepatitis C
    • Wahrscheinlichkeit eines 4ers beim Lotto: 1 : 1032

    Wie viele NSV ereignen sich und was sind die Folgen?
    Diversen Studien zufolge ereignen sich allein im stationären Versorgungsbereich* bei 750.000 Beschäftigten über 500.000 NSV pro Jahr. Das Risiko einer NSV ist allgegenwärtig, somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Beschäftigter eine NSV zuzieht. Statistisch gesehen ergeben sich daraus jährlich mindestens:
    • 400 HBV-Serokonversionen (bei einer Durchimpfungsrate von 80 %)
    • 75 HCV-Serokonversionen
    • 1 HIV-Serokonversion
    Diese Zahlen basieren rein rechnerisch auf den uns vorliegenden Studien und können nur einen sehr abstrakten Eindruck von den eigentlichen Ereignissen vermitteln. Tatsächlich ist mit einer wesentlich höheren Zahl von Infektionen bzw. Serokonversionen zu rechnen, da beim Patientengut im Krankenhaus von deutlich höheren Prävalenzen auszugehen ist. Überdies verbirgt sich hinter jedem so genannten »Einzelfall«

    Nadelstichverletzungen passieren! Das hat nichts mit persönlichem Fehlverhalten zu tun, sondern ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit, der Arbeitsbedingungen und Arbeitstechniken, sowie der Technologie und anderer Faktoren, die vom einzelnen Beschäftigten nicht immer kontrolliert werden können. Die resultierenden Gesundheitsrisiken gehen uns alle an. Vor ihnen sollten wir unsere Augen nicht verschließen.


    Nur so können Sie sichergehen, dass alles Erforderliche getan wird, um Sie vor schlimmen gesundheitlichen Folgen zu bewahren. Hierzu gehört in erster Linie die Entscheidung über die Durchführung einer postexpositionellen Prophylaxe.
    Auch versicherungsrechtlich ist die umgehende Meldung von größter Bedeutung. Nur wenn das auslösende Ereignis sorgfältig dokumentiert ist, kann etwa im Falle eines Berufskrankheitenverfahren der so wichtige Beweis für eine berufliche Ursache der Infektion oder Folgeerkrankung erbracht werden.

    NSV sind niemals Bagatellfälle

    Jeder Fall kann schlimme Folgen haben.

    Mit Ihrer Meldung tragen Sie dazu bei, dass geeignete Präventionsmaßnahmen ergriffen werden können. Denn nur wenn exakte Informationen über Art, Vorkommen, Verletzten und Infektionsquelle vorliegen, können Risiken systematisch verringert werden. Durch umgehende Meldung jeder NSV leisten Sie deshalb einen wichtigen Beitrag zu besseren und sichereren Arbeitsbedingungen und helfen dadurch auch Ihren KollegInnen.

    Melden Sie Nadelstichverletzungen umgehend Ihrem für Arbeitsunfälle zuständigen D-Arzt. Dieser registriert den Arbeitsunfall für die Berufsgenossenschaft (BGW) als Kostenträger und wird Sie ggflls. an Spezialambulanzen oder in der Behandlung von Hepatitis und HIV erfahrene Ärzte überweisen.


    Es gibt mittlerweile HIV Schnelltesteste, die innerhalb von Minuten anzeigen, ob der Patient HIV positiv war oder nicht. Von dem Schnelltestergebnis hängt ab, ob die Nadelstichverletzte Mitarbeiterin  sich einer  "Postexpositionsprophylaxe mit spezifischen antiretroviralen Medikamenten über 4 Wochen unterziehen soll.


    Wie können Sie sich schützen?
    Einen 100%igen Schutz gegenüber Infektionen gibt es leider nicht. Schutzimpfungen sind derzeit nur gegen das Hepatitis B-Virus möglich, gegen HCV und HIV gibt es keine Impfmöglichkeit! Deshalb muss die Vermeidung von NSV im Vordergrund stehen!
    Nadelstichverletzungen können in einer Vielzahl von Arbeitssituationen auftreten, z.B. wenn nach einer Blutentnahme oder einer Injektion die Spritze mit der Kanüle beidhändig in die Schutzkappe gesteckt wird (»recapping«).
    Eine weitere Risikoquelle liegt im Entsorgungsbereich:
    • achtlos liegengelassene Instrumente,
    • in Anzahl und Qualität unzureichende Entsorgungsbehältnisse
    • überfüllte Enstorgungsbehältnisse
    Um ein höheres Maß an Sicherheit für die Beschäftigten im Gesundheitswesen zu erreichen, sollten grundsätzlich nur Arbeitsmittel mit integrierten Sicherheitsvorrichtungen verwendet werden. Nur so können Verletzungen weitestgehend ausgeschlossen werden. Die üblichen Schutzausrüstungen wie Körper-, Augen-, Gesichts- und Handschutz sollten immer verwendet werden. Gerade zur generellen Vermeidung von Kontakten mit Blut- und Körperflüssigkeiten sollten immer Handschuhe getragen werden.

    Indikation zur HIV-PEP bei beruflicher HIV -Exposition
    Perkutane Verletzung mit Injektionsnadel oder anderer Hohlraumnadel (Körperflüssigkeit mit hoher Viruskonzentration: Blut, Liquor, Punktat­material, Organmaterial, Viruskulturmaterial)Empfehlen
    Oberflächliche Verletzung (z.B. mit chirurgischer Nadel) Anbieten
    Ausnahme: Indexpatient hat AIDS oder eine hohe HI-ViruskonzentrationEmpfehlen
    Kontakt zu Schleimhaut oder verletzter/ geschädigter Haut mit Flüssigkeiten mit hoher ViruskonzentrationAnbieten
    Perkutaner Kontakt mit anderen Körper­flüssigkeiten als Blut (wie Urin oder Speichel)Nicht empfehlen
    Kontakt von intakter Haut mit Blut (auch bei hoher Viruskonzentration)Nicht empfehlen
    Haut- oder Schleimhautkontakt mit Körperflüssigkeiten wie Urin und SpeichelNicht empfehlen



    Eine Stichverletzung an einer herumliegenden Injektionsnadel (z.B. bei spielenden Kindern) ist in der Regel keine Indikation zu einer medikamentösen HIV-PEP .

    Es gibt über das Internet  zu beziehnede preiswerte HIV Schnellteste. Hiermit ist  innerhalb von Minuten eine mögliche HIV Diagnose des indizierten  Patienten fetszustellen ! Diese Schnellteste sollten in jeder  medizinischen Praxis, auf jedem Rettungswagen, in jeder Polizeidienststelle zur Verfügung stehen, um gegebenfalls sofort mit einer medikamentösen Prophylaxe beginnen zu können!

    Eine routinemäßige HIV-PEP nach Vergewaltigung ist bei der gegebenen epidemiologischen Situation in Deutschland nicht indiziert. Dies schließt nicht aus, dass besondere Umstände im Einzelfall für die Durchführung eine PEP sprechen können und eine sorgfältige Abklärung des HIV -Risikos erfolgen sollte.

    Medikamentöse PEP

    Falls eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe indiziert ist, sollte so rasch wie möglich die erste Medikamentendosis eingenommen werden. In Zweifelsfällen kann auch zunächst notfallmäßig mit der Medikamenteneinnahme begonnen werden. Ein Abbruch der Prophylaxe, falls bei näherer Kenntnis des Unfallhergangs oder der Umstände eine solche unnötig erscheint, ist zu jedem Zeitpunkt möglich. Ansonsten beträgt die empfohlene Dauer der Prophylaxe 28 Tage.

    Sofern bei der potentiellen Infektionsquelle die Behandlungsanamnese oder bestehende Medikamenten­resistenzen bekannt sind, sollte die zur PEP verwendete Medikamenten­kombination entsprechend angepasst werden.

    In allen anderen Fällen kann eine der in der nachfolgenden Tabelle aufgeführten Standard-Kombinationen verwendet werden.

     

    Tabelle: Standard - Kombinationen zur HIV-PEP °*

    Standard – Kombinationen zur HIV-PEP

    Zidovudin + Lamivudin

     entweder als

    Combivirâ (2x 300/150mg)

     

    oder als

    Retrovirâ (2x 250mg)

    plus

    Epivirâ (2x 150mg oder 1x 300mg)

    Kombiniert mit

    Nelfinavir (Viraceptâ, 2x 1250mg)
    oder
    Indinavir (Crixivanâ, 3x 800mg)
    oder
    Lopinavir/rit (Kaletraâ, 2x 400/100mg)
    oder
    Efavirenz* (Sustivaâ/ Stocrinâ, 1x 600mg)

    ° falls Standard-Medikamente nicht verfügbar sind, können auch andere zur HIV-Therapie zugelassene Medikamente eingesetzt werden – Abacavir (Ziagenâ) und Nevirapin (Viramuneâ) sollten jedoch wegen der Möglichkeit akuter schwerer Nebenwirkungen nur in gut begründeten Ausnahmefällen für eine PEP eingesetzt werden. 

    * Bei Schwangerschaft ist Efavirenz kontraindiziert!

     




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